Sechs Erkenntnisse zum DFB-Team: Mit Musiala kommt das Staunen
08.06.2022 | 14:36 Uhr
Die deutsche Nationalmannschaft kommt gegen Italien und England nicht über ein Remis hinaus, ist aber weiter auf dem richtigen Weg zurück zur Weltspitze. Jamal Musiala trumpft groß auf, ein Trio muss sich steigern. Sechs Erkenntnisse.
Das Ergebnis war dasselbe wie am Samstag in Italien, das Gefühl ist ein anderes. Die deutsche Nationalelf hat auch beim 1:1 gegen England einen Sieg gegen einen Hochkaräter verpasst und dennoch über weite Strecken überzeugt. Der viermalige Weltmeister zeigte in München seine bis dato beste Leistung im Jahr 2022. Dass die Richtung wieder stimmt, wurde gegen starke Engländer sichtbar. Dass auf dem Weg zurück zur Weltspitze noch ein Stück zu gehen ist, allerdings ebenso.
Positive Entwicklung
"Ich bin stolz, dass wir so eine Leistung abgerufen haben", sagte Bundestrainer Hansi Flick, der seit seinem Dienstantritt im September weiterhin ungeschlagen ist, aber nach den Kräftemessen mit den Niederlanden, Italien und England gegen einen Großen weiter sieglos bleibt. "Wir sind noch nicht auf unserem Höhepunkt", sagte deshalb auch Thomas Müller. "Dafür müssen Ergebnisse kommen und mehr Torerfolge."
"Vom Gefühl her", so Müller, "war es ein gutes Spiel" - am Ende war die Stimmung im DFB-Lager aber dennoch getrübt. Beim 1:1 gegen England zeigte Deutschland eine klare Leistungssteigerung gegenüber der Punkteteilung in Italien, konnte sich dafür aber nicht belohnen.
"Wenn wir Schritt für Schritt an die Spitze zurückwollen, darf uns das nicht passieren", ärgerte sich Ilkay Gündogan über den späten Ausgleichstreffer von Harry Kane.
Bis zur WM in Katar sind es noch etwas mehr als fünf Monate. Flick blickt bereits auf die finale Vorbereitungsphase voraus: "Nach den vier Spielen machen wir ein Fazit und schauen, wie weit wir sind. Im September folgt dann der Feinschliff, daher ist dieser Monat für uns sehr wichtig." Die Richtung stimmt zumindest schon mal.
Viele Startelf-Positionen besetzt
Der Bundestrainer hatte mit seinen Wechseln im Vergleich zum uninspirierten Auftritt in Bologna gezeigt, dass er ausreichend Personal hat, um das Spiel seiner Mannschaft zu verändern.
Sieben Änderungen nahm Flick in seiner Startelf vor, einige überzeugten nachhaltig: David Raum war als Linksverteidiger eine Triebfeder, Jamal Musiala davor streckenweise eine Augenweide (dazu gleich mehr); Jonas Hofmann, bislang von Flick meist als Rechtsverteidiger eingesetzt, überzeugte in der Rolle davor nicht nur wegen seines Treffers. Und auch Nico Schlotterbeck zeigte, dass er ein Versprechen für die Zukunft ist. Aber eben auch, weshalb Niklas Süle neben Antonio Rüdiger der Mann der Gegenwart ist.
In der Zentrale hat Joshua Kimmich seinen Platz sicher. Offen ist, wen Flick neben ihn aufstellt. Gündogan wusste gegen die Engländer zu überzeugen, Leon Goretzka kam erst spät in die Partie. Seine Fähigkeiten sind jedoch unbestritten. Um diese Achse, zu der auch Torwart Manuel Neuer und Müller gehören, muss eine Mannschaft gebildet werden.
Musiala muss gesetzt sein
Die Zukunft des DFB heißt Jamal Musiala: Mit seinen Füßen kann Musiala nicht nur einen Fußball, sondern gleich ein ganzes Fußballstadion hypnotisieren. Im Vorjahr hat sich der in Stuttgart geborene Musiala für den DFB entschieden. Für den deutschen Verband ist das vielleicht die beste Nachricht der vergangenen Jahre.
Der 19-Jährige beherrscht den Ball selbst auf engstem Raum so gut wie kaum ein anderer, hat Übersicht und Tempo. Mit Musiala kommt das Staunen ins Spiel. Das alles hat man gegen England beobachten dürfen. Bis zu seiner Auswechslung nach 65 Minuten war er auffälligster deutscher Spieler.
Musialas Vorteil: Er kann flexibel eingesetzt werden. Egal, ob auf der Sechs, als Achter, als Zehner hinter der Spitze oder auf dem Flügel. Musiala bereichert das deutsche Spiel und gehört deshalb bei der Weltmeisterschaft in die erste Elf.
Neuer schon in WM-Form
Manuel Neuer hielt in seinem 54. Länderspiel als Kapitän - der Keeper zog damit an Philipp Lahm (53) vorbei - nahezu alles.
Der 36-Jährige spielte dazu wieder die Rolle des elften Feldspielers, zeigte sich gelassen gegen Pressing-Aktionen und brachte die Pässe selbst mit seinem schwächeren linken Fuß recht sicher zum Mitspieler - anders als sein Gegenüber Jordan Pickford. In seinem vielleicht letzten großen Turnier im Winter will es Neuer noch einmal mit dem Nationalteam wissen. Und das ist auch gut so.
Offensiv-Trio muss sich steigern
Leroy Sane, Serge Gnabry und Timo Werner standen einst für die neue Generation deutscher Offensivspieler, stagnierten zuletzt aber deutlich in ihren Leistungen. Am Dienstagabend verfolgten sie die Partie über weite Strecken von der Bank aus. Während Gnabry und Werner nach 65 Minuten ins Spiel durften, blieben für Sane nur noch ein paar Minuten in der Schlussphase.
Kurz nach seiner Einwechslung fiel zudem der Ausgleich. Es passte irgendwie ins Bild der vergangenen Wochen des Leroy Sane.
Flick hofft zur WM auf eine Leistungssteigerung. Vor dem England-Spiel sagte der 57-Jährige angesprochen auf Sane: "Er ist ein hochtalentierter Spieler. Er hatte eine richtig gute Phase im September, Oktober und November, zudem war er bei den Länderspielen große Klasse. Er muss versuchen, diese Qualität konstant in sein Spiel einzubringen." Das gilt auch für Gnabry und Werner.
Es fehlt ein Strafraumstürmer
Über den Mittelstürmer wird in Deutschland seit Jahren diskutiert. Werner blieb zuletzt einmal mehr den Beweis schuldig, dass er in dieser Rolle als "Neuner" die Qualität hat, die ihm Flick und auch dessen Vorgänger Joachim Löw stets bescheinigten und bescheinigen. Ihm fehlt der Killerinstinkt.
Der von Thomas Tuchel beim FC Chelsea zum falschen Neuner umfunktionierte Kai Havertz wirkt zwar von Mal zu Mal robuster, wenn er zur Nationalelf kommt - die eingebaute Torgarantie und das Gespür für die richtige Positionierung im Strafraum hat der gelernte Mittelfeldspieler aber (noch) nicht.
Die von Flick aus der U21 hochgezogenen Karim Adeyemi und Lukas Nmecha müssen noch einige Entwicklungsschritte gehen, um ernsthafte Startelf-Optionen zu werden.
Die Flick-Elf wäre bei der WM wohl einer der großen Favoriten, hätte sie einen echten Weltklasse-Stürmer mit Weltklasse-Riecher vorne drin, der aus einer halben Chance ein Tor macht. Einen wie Karim Benzema oder Robert Lewandowski. Doch das ist Träumerei.
Flick muss kreativ werden. Sky Reporter Uli Köhler hat einen Vorschlag: "Bei der WM brauchst du einen Zielspieler. Als Jürgen Klinsmann 2006 David Odonkor nominierte, verstand keiner warum. Aber er hatte nur die Aufgabe zweimal zehn Minuten zu spielen und hat dann auch entscheidende Aktionen gehabt. Vielleicht wird im Sommer ja auch noch ein Mittelstürmer frisch gebacken."
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