Sky Exklusiv || Didi Hamann: ''Anzeichen, dass keine Einheit auf dem Platz steht''
08.11.2023 | 12:08 Uhr
Vor dem Klassiker zwischen Dortmund und Bayern hat sich Sky exklusiv mit Didi Hamann unterhalten können. Der ehemalige Nationalspieler und heutige Sky Experte sieht beim deutschen Rekordmeister derzeit keine Einheit auf dem Platz. Hamann verrät zudem, auf welchen Münchner es am Samstag besonders ankommt.
Sky Sport: Herr Hamann, wie haben Sie die Niederlage des FC Bayern in Saarbrücken wahrgenommen?
Didi Hamann: Ich war sehr überrascht. Beim 15. der 3. Liga bin ich schon davon ausgegangen, dass sie das erledigen werden. Auch wenn die Bayern einige Verletzte haben, die erste Mannschaft war immer noch gut genug. Sie hatten Spieler auf der Bank, die dann hereinkamen, das Ruder aber auch nicht herumreißen konnten. (Mehr zum Thema: Vor dem Klassiker: Fünf Punkte bereiten Bayern Kopfschmerzen)
Sky Sport: Was waren für Sie die Gründe für das Ausscheiden?
Hamann: In der Defensive hatten sie überhaupt keine Stabilität. Es ist schwer, wenn du hinten so offen bist, dass du Spiele kontrollierst - auch gegen einen Drittligisten. Dann war es naiv, am Ende das Tor zu bekommen, die Saarbrücker waren stehend K.o. In der Verlängerung wäre es in eine Richtung gegangen.
Sky Sport: Wer ist für Sie für die Niederlage verantwortlich? Der Trainer? Die Mannschaft?
Hamann: Beide. Der Trainer ist für die Leistung der Mannschaft verantwortlich. Dazu kommt, dass sie in den letzten Spielen keine Kontrolle hatten und sie bis zur letzten Minute gehen mussten. Die Stärke der Bayern war früher immer, dass sie ein-, zweimal im Monat Spiele hatten, in denen sie nach 60 Minuten runterschalten konnten. Das konnten sie in den letzten Monaten selten. Das ist mit Sicherheit auch ein Grund, dass die Physis im Moment nicht die Beste ist. Und immer das Gerede mit dem kleinen Kader. Damit gibt man den Spielern ein Alibi, sie lesen das ja auch. (Lothar Matthäus: "Bayern nicht besser als unter Nagelsmann")
Sky Sport: Für den Klassiker muss der Trainer nun kreativ sein. Matthijs de Ligt fällt aus, Joshua Kimmich ist gesperrt. Ist es das letzte Zeichen an die Bayern-Bosse, dass im Sommer falsch auf dem Transfermarkt gehandelt wurde?
Hamann: Das steht außer Frage. Ich will gar nicht wissen, was mit Kahn und Salihamidzic gemacht worden wäre, wenn die beiden sich das erlaubt hätten, was jetzt in diesem Sommer passiert ist. Cancelo wollte man eine Woche vor Transferschluss versuchen zu holen. Palhinha, der schon mit dem Trikot auf dem Trainingsgelände herumläuft, dann aber wieder nach London fliegt. Pavard hat man kurz vor Transferschluss gehen lassen. Die größte Personalie ist für mich aber Stanisic. Nach dem ersten Saisonspiel gegen Bremen hat man ihn weggeschickt. Ich glaube nicht, dass der Verein großes Interesse hatte, den Spieler abzugeben. Er kommt von hier, strahlt Identität aus, was den Bayern im Moment auch fehlt. Er ist in München Nationalspieler geworden, nie verletzt und spielt drei, vier Positionen. In der letzten Saison hat er gegen Paris ein überragendes Spiel gemacht. Wenn ich so einen Spieler, der wie zwei Spieler ist, wegschicke, kann ich die Diskussion um den zu kleinen Kader nicht verstehen. Sie haben sich im Sommer dilettantisch verhalten. Das fällt ihnen jetzt auf die Füße. (FC Bayern verkündet Diagnose bei de Ligt)
Sky Sport: Nach dem Spiel sind nur sechs Spieler in die Kurve gegangen. Was für ein Bild hat die Mannschaft da abgegeben?
Hamann: Kein Gutes. So spielen sie aber auch Fußball. Ich hatte in den letzten Monaten nie das Gefühl, dass da eine Einheit auf dem Platz steht. Sie haben Spiele gewonnen durch ihre außergewöhnliche Qualität vorne. Sie haben es aber nie geschafft, nach hinten Stabilität zu bekommen. Bayern hatte viele Spiele in den letzten Wochen, ob das in Kopenhagen, gegen Mainz, Galatasaray oder die erste Halbzeit gegen Darmstadt war: Das sind alles Anzeichen, dass keine echte Einheit auf dem Platz steht. Ich war nicht überrascht, dass die Hälfte in die Kabine gegangen ist und die Hälfte zu den Fans.
Sky Sport: Welchen Anteil hat Thomas Tuchel an der aktuellen Phase? Ist er der Trainer, um die ambitionierten Ziele zu erreichen?
Hamann: Das werden wir sehen. Ich habe am Sonntag bei Sky90 gesagt, eine Liebesbeziehung ist es nicht, sondern eine Zweckbeziehung. Er ist hier, um eine Einheit zu formen. Das hat er nicht geschafft. Wenn man das gestrige Spiel sieht: Da brauchst du Leute, die vorangehen. Müller spielt nur noch selten, Kimmich wurde demontiert und ist total verunsichert. Wenn du es über sieben, acht Monate nicht schaffst, eine Einheit zu formen, dann fehlt mir die Phantasie, wie es jetzt gehen sollte. Oft kann so eine Niederlage etwas Reinigendes haben. Die normale Reaktion wäre jetzt, enger zusammenzurücken. Ob das in dieser Situation passieren wird, wage ich zu bezweifeln.
Sky Sport: Konnten Sie verstehen, dass Harry Kane nicht zum Einsatz gekommen ist?
Hamann: Es war nicht abzusehen, dass sie dieses Spiel verlieren. Ich verstehe das schon, dass man Kane noch einmal weglässt. Ich will dem Trainer da keinen Vorwurf machen.
Sky Sport: Was macht so eine Niederlage mit einer Mannschaft jetzt kurz vor dem Klassiker?
Hamann: Selbstzweifel. Bist du wirklich so gut, wie es die Leute immer sagen? Man fängt auch an, den einen oder anderen Mitspieler anzuzweifeln. Es wird wichtig sein, dass man jetzt enger zusammenrückt.
Sky Sport: Auf welche Spieler wird es am Samstag ankommen?
Hamann: Laimer hat eine ganz wichtige Rolle. Er muss die Position halten. Das haben sie in der Vergangenheit nicht geschafft. Vielleicht ist es Tuchel gar nicht so unrecht, dass die zentralen Mittelfeldspieler ihre Aufgaben nicht richtig ausfüllen. Weil Tuchel dann weiß, dass er im Winter seinen Sechser bekommt. Nur es ist nicht gesagt, dass die Bayern im Winter einen bekommen, der dich weiterbringt.
Sky Sport: Dortmund ist gut drauf, zuhause ganz schwer zu schlagen. Wie ist Ihre Aussicht auf das Spiel am Samstag?
Hamann: Am Ende kommt es sowieso immer anders, wie man denkt. Ich glaube, dass Felix Nmecha beim BVB anfangen wird. Er ist ein Spieler, der den Unterschied machen kann. Er hat das Tempo, die Power im Mittelfeld. Das hat ihnen zuletzt gefehlt. Im Moment würde ich sagen, die Bayern werden in Dortmund nicht gewinnen.
Sky Sport: Sollten die Bayern auch in Dortmund verlieren: Wie würden die Verantwortlichen dann bei Tuchel reagieren?
Hamann: Sie sehen es mit Sicherheit kritisch. Mir würde die Entwicklung zu denken geben. Sie spielen keinen guten Fußball. Auch die Aussagen des Trainers: Erst war Tuchel schockverliebt, zwei Wochen später wusste er nicht weiter. Das Wichtigste ist aber, wie die Mannschaft funktioniert. Da habe ich meine größten Bedenken. Tuchel hat Spieler, die die Mannschaft führen oder führen sollen, geschwächt.
Sky Sport: Halten Sie es für realistisch, dass die Bayern am Ende ohne Titel dastehen?
Hamann: Dass sie die Champions League gewinnen, mag ich zu bezweifeln. Dann sind wir bei der Meisterschaft. Da würde ich Bayern aktuell maximal eine Chance von 50 Prozent geben. Leverkusen ist nicht schlechter als Bayern. Was den FC Bayern immer ausgezeichnet hat, war, dass sie immer 18, 19, 20 Spieler hatten. Das haben die Leverkusener und Leipziger im Moment auch, die Bayern aber nicht. Es wäre kein Beinbruch, wenn man mal keinen Titel holt, wenn du für die Zukunft etwas aufbaust und Jungen das Vertrauen schickst. Das würden auch die Fans verstehen. Nur wenn man mit den 'Alten' weiterspielt, wie jetzt einem Sarr, dann verstehen die Leute das einfach nicht.
Sky Sport: Würde Tuchel eine titellose Saison beim FC Bayern überstehen?
Hamann: Es sind schon Trainer in München für weniger rausgeflogen. Es wird schwer. Die Titel sind eine Sache. Aber du musst einen Fortschritt sehen und schauen, dass die Sachen in die richtige Richtung laufen. Das ist im Moment einfach nicht der Fall. Das hat sich gestern gezeigt. Das wird sich möglicherweise in den nächsten Wochen zeigen. Die Wochen bis Weihnachten werden richtungsweisend, auch wie es dann mit dem Trainer weitergeht.
Sky Sport: Was für ein Bild hat die Sportkompetenz-Riege beim FC Bayern um Uli Hoeneß oder Karl-Heinz-Rummenigge bislang für Sie abgegeben?
Hamann: Kein Gutes. Man hat dieses hochgelobte Transfergremium ausgerufen und gesagt, es kommt nichts mehr an die Öffentlichkeit heraus. Es kommen aber mehr Informationen heraus als je zuvor. Man hat sich einfach schwach verkauft. Das beste Beispiel ist Palhinha. Selbst diesen Spieler, den vor sechs Monaten noch niemand in München kannte, hat man nicht bekommen. Tuchel war auch in diesem Gremium. Ich habe nie verstanden, wieso es die Diskussion um den zu kleinen Kader gibt. Tuchel hat ja mitentschieden, er hat Stanisic weggeschickt. Sie brauchen hier schleunigst klare Strukturen. Es ist eine ungesunde Konstellation. Ich würde mir wünschen, dass Jan-Christian Dreesen etwas forscher zur Sache geht oder auch ein Christoph Freund, der vorangehen muss. In solch einer Situation braucht es Leute, die vorangehen müssen und auch unpopuläre Entscheidungen treffen müssen.
Sky Sport: Können Sie sich vorstellen, dass die Bayern-Verantwortlichen bei Max Eberl nun etwas mehr Gas geben?
Hamann: Das könnte sein. Die Entwicklung bei den Bayern läuft nicht zu Ungunsten von Eberl. Er ist der Mann, den Uli Hoeneß schon seit Jahren haben will. Ich könnte mir vorstellen, dass in dieser Personalie bald Schwung hereinkommen wird.
Mehr zum Autor Torben Hoffmann
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