Kolumne "So sehe ich das"
08.10.2019 | 17:51 Uhr
Rekordnationalspieler und Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen aus der Bundesliga und der Fußballwelt auf skysport.de. Dieses Mal vergleicht Matthäus den BVB und den FC Bayern München.
Im Fußball heißt es oft: Mentalität schlägt Qualität. Wenn eine tolle Mentalität und eine hohe Qualität in einer Mannschaft zusammenkommen, ist diese nur schwer zu schlagen.
Und damit wären wir bei meinem aktuellen Vergleich zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund.
Schauen wir uns die Arbeit der Trainer Heynckes und Bosz an. Jupp hat es sofort geschafft, alle Menschen im Verein, aber vor allem die Mannschaft mit einfachen, aber sehr wirkungsvollen Maßnahmen zusammenzuschweißen.
Fußballerisch hat er sich das Leben nicht erschwert, indem er sich in komplizierten Taktik-Angelegenheiten verloren hat. Er hat jeden Spieler stark geredet und stärker gemacht. Er hat die Spieler auf ihren angelernten und natürlichen Positionen aufgestellt.
Bestes Beispiel: Javi Martinez auf die Sechs. Das kann er. Da gehört er hin. Jupp ist zurück zum altbewährten und perfekt auf die Mannschaft zugeschnittenen 4-2-3-1-System. Disziplin, Ordnung auf und neben dem Platz, keine Experimente. Ganz nebenbei hat Jupp auch die Bosse Hoeneß und Rummenigge dazu gebracht, Meinungsverschiedenheiten die es natürlich immer gibt, hinten anzustellen oder intern zu klären.
Alles was die Mannschaft und die Stimmung im Klub negativ beeinflussen kann, muss für den Erfolg der Mannschaft verhindert werden. Hinzu kommt, dass sich Heynckes und die Bayern auf die tolle Mentalität der Spieler aktuell verlassen kann. Ein Robert Lewandowski ist wenn es drauf ankommt noch stärker als ohnehin. Und ganz wichtig zu beobachten, ist das Verhalten der Spieler bei aufkommender Kritik.
Dazu zwei Beispiele: Jupp hat Arturo Vidal öffentlich für seine Leistung kritisiert. Er erwarte mehr vom Chilenen. Obwohl diese Kritik öffentlich war und Spielern so etwas nie gefällt, hat Vidal mit starker Leistung reagiert. Er hat sich nicht hängen lassen oder zurückgeschlagen. Nein, er will Jupp zeigen, wie gut er es kann und so weiter unverzichtbar sein. Er will zeigen, dass er sich die Kritik zu Herzen genommen hat und zeigt die richtige Reaktion.
Beispiel Sven Ulreich. Er wurde in seinen ersten Spielen nach Neuers Verletzung von vielen und auch von mir zurecht kritisierst. Und jetzt ist er seit Wochen einer der sichersten Torhüter der Liga.
Bei Bayern stimmen aktuell Mentalität und Qualität zu 100 Prozent. Beim BVB weder noch. Zunächst zum Trainer. Wieso lässt Bosz den gelernten Innenverteidiger Marc Bartra teilweise hinten rechts spielen, obwohl er Toljan hat? Wieso konzentriert er sich nicht erstmal auf die Basics, anstatt sehenden Auges mit seinem sturen 4-3-3 Woche für Woche ins Verderben zu laufen? Ein Trainer darf von seinen Spielern keine Dinge fordern, die sie nicht leisten können.
Wieso spricht er davon, dass der wunderbare Fußballer Mario Götze bei 100 Prozent sei und stellt ihn dann in wichtigen Spielen nicht von Beginn an auf? Nach der nächsten schlechten Vorstellung in Stuttgart stellt sich Bosz vor die Kamera und lobt die ersten 45 Minuten anstatt zuzugeben, wieder einmal schlecht gespielt zu haben. Viele Phrasen, wenig Lösungen, die ich seit Wochen höre und sehe.
Einer der größten Unterschiede in Punkto Mentalität zwischen diesen beiden Mannschaften ist der Umgang mit Kritik. Roman Bürki beschwert sich in Interviews über die Kritik an seinen Leistungen und macht weiter Fehler. Anstatt die Kritik von Menschen, die um einiges länger im Fußballgeschäft sind als er, anzunehmen, wehrt er sich.
Die Bayern-Spieler antworten auf dem Platz mit Leistung und Ergebnissen, die Dortmunder mit Interviews und Undiszipliniertheiten. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich Bürki öffentlich für das Lob bedankt hat, dass er in starken Zeiten bekommen hat. Das ist alles nicht persönlich gemeint. Ich und viele Fans in Deutschland sind erfreut, wenn der BVB die Bayern jagt. Wenn der Titelkampf dank Dortmund und seiner tollen Mannschaft spannend ist. Wenn sie begeisternden Fußball spielen vor diesen Wahnsinns-Fans in diesem großartigen Stadion.
Aber wenn es noch länger so weiter geht, werden die Risse und der Abwärtstrend beim BVB immer größer. Ich habe im Moment auch nicht das Gefühl, dass die Bosse Watzke und Zorc so zusammenstehen und an einem Strang ziehen, wie noch vor einigen Jahren.
Wenn es nur das eine oder andere Problem gibt, kann ein Klub dies auffangen. Aber wenn das System nicht zu den Spielern passt, der Torschützenkönig der letzten Saison nur noch durch Eskapaden und Alleingänge auf sich aufmerksam macht aber in schweren Zeiten das Tor nicht trifft und eine Wundertüte ist, der Chefscout den Klub verlässt und keine Anführer auf dem Platz stehen, ist das besorgniserregend.
Es gab Zeiten, da hatte der BVB viele Spieler mit der Einstellung die sonst nur bei den Bayern herrscht. Kritik macht uns noch stärker. Wir brauchen uns vor niemandem zu verstecken. Wir gewinnen zusammen und ab und zu verlieren wir eben auch zusammen. Ich denke an die Dortmund-Generation um Kohler, Reuter, Zorc, Sosa, Cesar.
Auf der Bank saß in diesen Zeiten ein gewisser Ottmar Hitzfeld. Vielleicht das Pendant zu Jupp Heynckes bei den Bayern? Das mag jetzt etwas überraschend kommen. Aber wenn die Dortmunder Verantwortlichen zu dem Entschluss kommen, dass es mit Peter Bosz nicht mehr weiter geht und sie mitten in der Saison keinen Top-Trainer bekommen, wieso dann nicht auch ihren ehemaligen Erfolgs-Garanten zurückholen, wie es die Bayern mal wieder vorgemacht haben?
Er würde sofort akzeptiert und respektiert werden. Er würde mit Sicherheit der Mannschaft die nötige Ruhe und defensive Stabilität zurückgeben und er würde ähnlich wie bei Bayern, den Bossen die Zeit verschaffen um in Ruhe zur nächsten Saison eine gute Lösung zu präsentieren. Auch Jupp Heynckes hat dies eigentlich bei seinem Rücktritt so gut wie ausgeschlossen.
Aber wenn der Herzens-Klub einen um Hilfe bittet, die zeitlich begrenzt ist, könnte das auch Hitzfeld zum Nachdenken bewegen.