Schalke 04 und die Angst vor dem Abstieg in die 3. Liga

Die Schalke-Krise: Sky macht den Kader-Check

Nicht nur Henning Matriciani (l.) läuft seiner Form beim FC Schalke 04 aktuell hinterher.
Image: Nicht nur Henning Matriciani (l.) läuft seiner Form beim FC Schalke 04 aktuell hinterher.  © DPA pa

Der FC Schalke 04 taumelt Richtung Liga 3. In Düsseldorf wird der Traditionsklub lange vorgeführt und kassiert trotz Aufholjagd bereits die neunte (!) Niederlage im 14. Ligaspiel. Das Duell bei der Fortuna legt auch die Schwächen des vermeintlichen aufstiegsreifen Kader offen.

Tabellenplatz 16, drei Punkte hinter dem rettenden Ufer und mit 33 Gegentoren die Schießbude der 2. Bundesliga. Vorstand und Mannschaft haben sich in einem Brief sogar extra bei den Mitgliedern entschuldigt. Selbst die größten Pessimisten hätten nach dem Abstieg aus der Bundesliga wohl nicht mit einer derart prekären Situation bei den Knappen gerechnet.

Im Gegenteil: Viele Experten waren sicher, dass Schalke 04 mit dem von Sportvorstand Peter Knäbel und Sportdirektor Andre Hechelmann zusammengestellten Kader einer, wenn nicht sogar DER Topfavorit auf den Aufstieg sei. Die Realität sieht anders aus, da sich kaum ein Neuzugang als Verstärkung entpuppt hat. Sky Sport macht den Kader-Check:

TOR:

Bereits vier (!) Torhüter standen in dieser Spielzeit zwischen den königsblauen Pfosten. Rekord. Allerdings hängen die Wechsel ausschließlich mit Verletzungen und nicht mit fehlender Qualität zusammen. Nachdem die eigentliche Nummer eins, Ralf Fährmann, weite Strecken der Vorbereitung verpasste, etablierte sich Neuzugang Marius Müller mit starken Leistungen als neuer Stammtorwart. Doch gegen den FC Magdeburg zog sich der 30-Jährige einen Sehnenabrisses im Adduktorenbereich zu und wird erst in der Rückrunde wieder einsatzfähig sein. Oldie Michael Langer sprang ein, auch Youngster Justin Heekeren durfte sich zeigen, aber unter dem neuen Coach Karel Geraerts ist Fährmann gesetzt und macht seine Sache vor allem auf der Linie größtenteils gut.

FAZIT: Schalke ist zwischen den Pfosten trotz der zahlreichen Gegentreffer gut aufgestellt. Heekeren patzte zwar gegen die Hertha und Fährmann sah bei einem Treffer der Fortuna unglücklich aus, aber meistens konnte der jeweilige Schlussmann den Einschlag schlicht und einfach nicht mehr vermeiden und verhinderte oft sogar noch Schlimmeres. Es wird dennoch interessant sein zu sehen, wer in der Rückrunde die Nummer eins wird, wenn Fährmann und Müller fit sind.

ABWEHR:

Zu Saisonbeginn agierte Schalke unter Thomas Reis in einer Viererkette und verteidigte sehr hoch. So hoch, dass man extrem anfällig in der Defensive war und zahlreiche einfache Gegentore kassierte. Die Kritik am Trainer wurde immer lauter. Timo Baumgartl zählte die Taktik in einem bemerkenswerten Interview mit Sky nach der 1:3-Niederlage beim FC St. Pauli öffentlich an. Der Abwehrspieler wurde vorübergehend suspendiert, Reis musste kurz danach die Koffer packen. Geraerts setzte auf eine Dreierkette, aber die Gegentorflut ging munter weiter und ist sogar noch schlimmer geworden. Kassierte Schalke unter Reis noch 2,14 Gegentore (15 in sieben Partien) waren es unter Interimstrainer Matthias Kreuzer schon 2,5 (fünf in zwei Spielen) und unter Geraerts sind es sogar 2,6 Gegentreffer pro Spiel (13 in fünf).

Das Problem liegt auf der Hand: Es fehlt an Qualität: Vizekapitän Marcin Kaminski weist erschreckende Geschwindigkeitsdefizite auf und ist zudem auch nicht der Führungsspieler, der er sein müsste. Laute Kommandos oder entsprechende Absprachen mit seinen Nebenleuten finden oft nicht statt. Resultat sind einfache Gegentreffer wie die frühe Fortuna-Führung am Samstagabend, als Vincent Vermeij im Schalker Strafraum viel zu viel Platz und Zeit hatte, um einzuschieben.

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Doch Kaminski ist nicht das einzige Problem in der Schalker Defensive. Der Absteiger hat sich bekanntlich auf die Fahne geschrieben, keine Spieler auszuleihen, hat aber auch aufgrund des klammen Geldbeutels wenig Geld, um die nötige Qualität einzukaufen. Am Ende entschieden sich die Verantwortlichen, Baumgartl und Tomas Kalas zu verpflichten.

Die Krux: Beide Akteure hatten kaum Spielpraxis und das merkt man nun. Kalas hat zwar gute Momente, aber keine Konstanz. Baumgartl ist nach zahlreichen Patzern mittlerweile völlig außen vor. Alternativen bietet der aktuelle Schalke-Kader kaum. Ibrahima Cisse hätte eigentlich alle Anlagen, um ein dominanter Innenverteidiger in der 2. Bundesliga zu sein, aber musste beim Pokal-Aus auf St. Pauli vor rund einem Monat zur Pause verletzt raus und kommt seitdem nicht auf die Beine. Leo Greiml fehlt nach seinem zweiten Kreuzbandriss noch länger.

Eine weitere gigantische Baustelle ist die des Rechtsverteidigers beziehungsweise des rechten Schienenspielers. Dort ist Henning Matriciani seit Wochen gesetzt, verschuldet aber gefühlt einen Gegentreffer nach dem anderen. Schalkes Gegner haben den Publikumsliebling als Schwäche ausgemacht und forcieren Angriffe über ihren linken Flügel. Einsatz und Wille sind Matriciani nicht abzusprechen, aber es ist schlicht nicht seine Position und auch sein Selbstvertrauen leidet mit jeder schwachen Leistung immer mehr. Mit Cedric Brunner steht zeitnah ein weiterer Rechtsverteidiger zur Verfügung, aber der Schweizer ist für die Schiene offensiv harmlos.

Daher wird auch eine Rückkehr zur Viererkette diskutiert, aber dann drückt der Schuh auf der anderen Seite. Derry John Murkin kann die Position bekleiden, aber der aktuell suspendierte Thomas Ouwejan oder Tobias Mohr sind defensiv für die Linksverteidiger-Rolle zu schwach. Ouwejan ist generell eine spannende Personalie. Der Niederländer ist seit rund einem Jahr unzufrieden mit seiner Situation und zeigte gegen Düsseldorf eine miserable Leistung. Allerdings hat der Aufstiegsheld von vor zwei Jahren auch diese Saison mit seinen gefährlichen Standards gezeigt, wie wertvoll er sein kann. Vor allem bei den zahlreichen Ecken in der Schlussphase in Düsseldorf hätte er Schalke gut zu Gesicht gestanden.

FAZIT: Eigengewächs Mehmet Aydin im Sommer abzugeben, ohne Ersatz zu holen, hat sich als kapitaler Fehler entpuppt. Der 21-Jährige ist bei Trabzonspor in der Türkei gesetzt und wäre eigentlich genau der Spieler, den Schalke jetzt braucht. Klar ist: Auf der Position wird Schalke im Winter handeln und möglicherweise auch leihweise nach einer Verstärkung suchen. Und auch in der Zentrale muss Schalke dringend nachlegen. Ein, wenn nicht sogar zwei neue Innenverteidiger sollten kommen.

MITTELFELD:

Im Mittelfeld verfügt Schalke eigentlich über ausreichend Qualität. Das Problem: Die löchrige Defensive verunsichert auch die Leute davor. Ron Schallenberg war in Paderborn jahrelang einer der besten Sechser der Liga, ist derzeit völlig verunsichert. Der Abräumer weiß: Ein eigener Fehler führt wahrscheinlich direkt zum Gegentreffer und genauso vorsichtig spielt er. Ähnlich sieht es bei Lino Tempelmann aus. Der 24-Jährige zählte zuletzt zu den besseren auf seiner Position im deutschen Unterhaus, kämpft aber mit Leistungsschwankungen. Paul Seguin ist dagegen nach seinem Wechsel von Union Berlin noch gar nicht angekommen. Er sollte das Bindeglied zwischen Defensive und Offensive werden, sucht aber weiter seine Form.

Hinzu kommen Routinier Dominick Drexler, der zwar vorangeht, aber oft mit Blessuren zu kämpfen hat und natürlich Assan Ouedraogo. Das Megatalent stellte seine Klasse vor allem zu Saisonbeginn unter Beweis, fehlt aber nach seiner bei der U17-WM erlittenen Verletzung noch mindestens bis zum neuen Jahr. Ergänzt wird das Ensemble durch Ex-Kapitän Danny Latza, der - ähnlich wie Drexler - Verantwortung übernimmt, aber oft verletzt ist.

FAZIT: Der Schuh im Schalker Kader drückt an vielen Stellen. Das Mittelfeld performt zwar auch noch nicht wie gewünscht, aber die Qualität sollte vorhanden sein. Neuzugänge sind hier nicht zu erwarten.

ANGRIFF:

Geraerts setzt vornehmlich auf einen Zwei-Mann-Sturm. Wenn beide fit sind, besteht dieser aus Kenan Karaman und Bryan Lasme. Auf dem Papier ein Duo, das sich gut ergänzen sollte. Lasme hat technisch Defizite, ist aber enorm schnell und hat schon drei Treffer erzielt. Zudem ist der Franzose äußerst fleißig und will sich verbessern. Karaman als Nebenmann ist Schalkes bester Fußballer und der vielleicht einzige Unterschiedsspieler im Kader. Mit drei Toren und vier Assists in nur neun Spielen passt bei ihm auch der Ertrag.

Simon Terodde und Sebastian Polter - die vermeintlich größten Namen des aktuellen Kaders - sind dagegen bei Geraerts nicht gefragt. Polter durfte überhaupt nur 29 Minuten ran und der Kapitän wartet seit der Geraerts-Premiere beim 0:3 in Karlsruhe auf eine Chance in der Startelf. Selbst Youngster Keke Topp wird den beiden Routiniers vorgezogen. Insgesamt kommt Schalke auf 23 Treffer. Kein überragender, aber ein ordentlicher Wert, wenn man bedenkt, dass die beste Offensive aus Düsseldorf auch "erst" 29 Tore hat.

FAZIT: Ein neuer Stürmer kann eigentlich nur kommen, wenn ein Großverdiener wie Terodde oder Polter den Klub verlässt. Danach sieht es aktuell aber nicht aus. Es liegt an Geraerts, alle Egos zu kontrollieren.

TRAINER:

Sechs Mal stand Geraerts an der Schalker Seitenlinie. Im Pokal scheiterte man unglücklich nach Verlängerung beim FC St. Pauli, in der Liga stehen zwei Siege und drei Niederlagen zu Buche. Der Belgier startete seine Amtszeit mit markigen Worten und sprach vielen Fans aus der Seele. Er wolle eine "Siegermentalität" etablieren und "Krieger" auf dem Platz sehen. Auf Methoden wie Straftraining verzichtete er, suchte stattdessen den Dialog und gibt den Spielern regelmäßig frei. Trainingsbesucher sind angetan von den Einheiten, aber dennoch stellt sich die Frage, ob die Spieler dem Trainer zuhören. Nach der desolaten Anfangsphase gegen Elversberg wiederholte sich das Ganze in Düsseldorf. Kurioserweise sogar in der gleichen Formation.

Man muss dem Trainer aber zugutehalten, dass dieser Kader nicht auf seine Spielphilosophie abgestimmt ist. Man wird sehen, wie das Konstrukt aussieht, wenn in der Rückrunde auch ein paar Spieler im Kader stehen, die Geraerts haben wollte. Bis dahin muss er mit dem bestehenden Spielermaterial bis zum Winter gegen Schlusslicht Osnabrück, bei Hansa Rostock und zum Abschluss gegen die SpVgg Greuther Fürth punkten.

Vor Saisonbeginn hätten die meisten Experten getippt, dass Schalke mindestens sieben Zähler holt. Aber auf Schalke ist derzeit nichts so, wie die Experten es sich zu Saisonbeginn vorgestellt haben...

Mehr zum Autor Robert Gherda